
„Everything Matters“ — Susan Sontag im Literaturhaus München
Ein Ausstellungsbesuch
Es ist Zeit, Susan Sontag, die große amerikanische und 2004 verstorbene Intellektuelle und Essayistin wieder neu kennenzulernen. Einen perfekten Einstieg dazu bietet die bis Ende November laufende Ausstellung im Münchner Literaturhaus, Susan Sontag — „Everything Matters“.
Die Ausstellung zeigt zahlreiche, teils unveröffentlichte Fotografien, Manuskripte, Zitate, Filmausschnitte, persönliche Gegenstände aus dem Nachlass und natürlich die legendären Listen, die Susan Sontag zeitlebens führte.
Wer noch nie von Susan Sontag gehört hat, dem bietet diese sorgsam kuratierte Ausstellung einen optisch und inhaltlich sehr ansprechenden Einstieg.
Aber auch fortgeschrittene Kenner Sontags können dort die eine oder andere unbekannte Perle entdecken und neue Perspektiven ihres Schaffens erkunden.

Über fünf Stationen (LESEN, SCHREIBEN, SEHEN, HANDELN und ÜBER-LEBEN) führt die Ausstellung durch die zentralen Aspekte aus Sontags Werk.
I. LESEN
Mit sechs Jahren beginnt Susan Sontag zu lesen. In ihrer Familie, mit der sie damals in der Wüstenstadt Tucson lebte, fühlte sie sich intellektuell unterfordert. Bücher boten ihr eine willkommene Flucht aus Enge der Provinz. Ein Roman löste dabei so starke Begeisterung in ihr aus, dass sie ihn Jahrzehnte später als ihr «Lebensbuch» bezeichnete. Es war Thomas Manns «Der Zauberberg». Geblieben ist ihr dabei auch eine lebenslange Faszination für europäische Literatur.
Nach ihrem frühen Studium in Oxford und Harvard, heiratet sie den Soziologen Philip Rieff, wird dann mit 19 Jahren Mutter, geht nach Paris und entscheidet sich gegen eine akademische Karriere zugunsten der Schriftstellerei.
II. SCHREIBEN
Im New York der Sechzigerjahre macht sie mit ihren Essays und ihrem Gespür für den Zeitgeist auf sich aufmerksam und wird schnell zum intellektuellen Star der Stadt. Ihre Texte erscheinen in literarischen Zeitschriften, aber auch in Hochglanzmagazinen. Nach ihrem ersten Roman erscheint der berühmte Essayband «Against Interpretation» – (Deutsch: Kunst und Antikunst. Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Aufhebung der Trennung zwischen Hoch- und Popkultur. Für damalige Zeiten ein revolutionäres Unterfangen.
Reisefreudig, wie sie war, verbrachte sie viel Zeit in Europa, was ihr die Rolle einer transatlantischen Kulturvermittlerin einbrachte. Viele europäische Autoren der damaligen Zeit verdanken ihren Erfolg in Übersee dem Gespür Susan Sontags.

Foto: © unodue{
Neben ihren öffentlichen Schriften notierte sie Erlebnisse und Gedanken in ihren Tagebüchern. Eine besondere Eigenheit dieser Tagebücher waren ihre Listen zu unterschiedlichsten Themen. Getreu ihrem Motto «Everything Matters» reflektierte sie darin detailliert ihr eigenes Handeln. Auszüge einiger dieser Listen sind auch in der Ausstellung zu bestaunen.

III. SEHEN
Neben dem Schreiben zeigte sie auch ein tiefes Interesse an Fotografie und Filmen. Lebenslang begeisterte sie sich für Filme, schrieb Kritiken und führte teils Regie.
Fotografie hingegen sah sie stets kritisch. In ihrem Essay «On Photography», Deutsch: «Über Fotografie», welches Ende der 70er Jahre erschien, erkannte sie nahezu prophetisch bereits den Drang, alles zu fotografieren und nur auf Bildern festgehaltenes als Erfahrung gelten zu lassen. Eine Erkenntnis, die in Zeiten von Social Media aktueller ist als je zuvor.
Ihre Auseinandersetzung mit der fotografischen Kriegsreportage führte sie zu der Erkenntnis, dass Mitgefühl und Betroffenheit nicht das Nachdenken ersetzen dürfen. Das Betrachten von Holocaust-Fotografien löste in ihr eine negative Epiphanie aus. Nicht die Ästhetisierung des Schreckens stand im Vordergrund, sondern die erschütternde Erkenntnis darüber, wie unfassbar grausam und zerstörerisch menschliches Handeln sein kann.
IV. HANDELN
All ihr Wissen und ihre Informationen hat Susan Sontag nicht nur aus Büchern geschöpft, sondern hauptsächlich auch aus erster Hand. Als «Öffentliche Intellektuelle» hieß für sie auch Augenzeugin zu sein und Wissen aus unmittelbarer Erfahrung zu erwerben.
In den 60er Jahren reiste sie nach Vietnam, später war sie mitten im Bürgerkrieg im Sarajewo, um dort Samuel Becketts Stück «Warten auf Godot» aufzuführen. Stets stand sie der imperialen Außenpolitik der USA kritisch gegenüber, was ihr schließlich sogar eine eigene Akte beim FBI einbrachte. Auch mit ihrem polemischen Kommentar zu den Angriffen auf das World Trade Center 2001, machte sie sich keine Freunde. Stets blieb sie ein unabhängiger Geist und das moralische Gewissen der USA.

V. ÜBER-LEBEN
Dreimal befiel sie der Krebs in ihrem Leben. Zweimal besiegte sie ihn. In ihrem Essay «Krankheit als Metapher» fordert sie, die Krankheit von ihrer Bedeutung als Fluch oder Strafe zu befreien. Stattdessen sollten die Betroffenen mündig gemacht werden, um sich aktiv am Genesungsprozess zu beteiligen.
Als sie der Krebs ein drittes Mal heimsuchte, verlor sie den Kampf und verstarb am 28. Dezember 2004.

© Mitch Epstein
SEHEN UND GESEHEN WERDEN
Während sich die Ausstellung im Literaturhaus schwerpunktmäßig Susan Sontags literarischem Schaffen widmet, bietet die beinahe zeitgleiche Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn «Sehen und gesehen werden», Einblicke in ihre Überlegungen zur Fotografie und zeichnet Sontags Theorien und Gedanken dazu nach.
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