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Frische Ideen durch Commonplace-Books

Einführung – Was ist ein Commonplace-Book?

Physische Notizbücher sind schon lange wieder in. In unserer immer weiter durchdigitalisierten Welt stellen sie eine private und obendrein datenschutzfreundliche Alternative dar. Viele Menschen benutzen solche Notizbücher als tägliches Journal, als Reisetagebuch (wie der Autor Bruce Chatwin, durch den die Firma Moleskine den Hype um Notizbücher erst richtig ins Rollen brachte) oder um ihre täglichen Aufgaben zu bewältigen und zu vielen weiteren Zwecken.


Ich möchte mich hier einer weiteren, seit einiger Zeit langsam wieder in den Fokus rückenden Nutzung zuwenden, den Commonplacebooks (CP), Kollektaneen oder auch Sudelbüchern.
Ein Commonplacebook ist im Grunde nichts anderes als eine Sammlung fremder oder eigener Ideen. Der Name entstammt dem lateinischen „locus communis“, was in etwa dem deutschen Begriff des „Gemeinplatzes“ entspricht. Ein Commonplacebook ist eine private Sammlung von ausgewählten Informationen externer Quellen. Doch wo liegt der fast in Vergessenheit geratene Nutzen darin für uns Schreibende?


Ein Commonplacebook dient als laufende und sich stetig erneuernde Quelle der Inspiration. Eine Quelle, welche im Laufe der Jahre bei regelmäßiger Nutzung immer wertvoller wird. Blättern wir diese Sammlung regelmäßig durch und ergänzen wir sie laufend, entstehen in unserem Gehirn neue Verbindungen dieser Gedanken. Das Commonplacebook wird zu einem wertvollen Helfer, das uns bei Schreibblockaden zur Seite steht, uns Anregungen für neue Texte liefert, oder für neue Blickwinkel auf ein Thema, das uns gerade beschäftigt, sorgt.

Geschichtlicher Hintergrund

Entstanden sind die auch Kollektaneen genannten Bücher im 16. Jahrhundert. Mit Erfindung des Buchdrucks und der damit einhergehenden breiten Verfügbarkeit von Informationen, wuchs auch das Bedürfnis in der Bevölkerung, persönliche Zusammenstellungen von Wissen aus unterschiedlichsten Quellen zu erstellen.
Vor allem Studenten, Autoren und deren Leser, aber natürlich auch Gelehrte zogen großen Nutzen aus dieser einzigartigen Konzentration von Wissen.


Einer der bekanntesten deutschen Autoren und Nutzer eines Commonplacebook war Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799). In seinen Sudelbüchern, wie er sie nannte, protokollierte er seine Wahrnehmungen und Gedanken und nutzte sie als stete Quelle der Inspiration. Für ihn waren diese Notizen so wichtig, dass er diese Methode der Informationssammlung allen nahelegte, welche mit Büchern oder Geistesarbeit zu tun hatten.


Leider verlor sich im Laufe der Jahrhunderte das Interesse an Aufzeichnungen dieser Art. Erst mit der Verbreitung des Internets entstanden ähnliche Sammlungen in digitaler Form. Bedauerlicherweise lag und liegt deren Nutzen, trotz immer ausgefeilterer und effektiverer Speicher- und Suchmethoden immer noch unter dem der Commonplacebooks. Der Grund dafür ist einfach. Je leichter es wird, Informationen zu sammeln, desto wahlloser geschieht es auch. Und was wahllos entsteht, wird nur schwer zu einem konkreten Nutzen führen. Viele von uns kennen das Problem. Die Festplatte ist voller Informationen zu unterschiedlichsten Themen, vielleicht sogar gesammelt in einem speziellen Notizprogramm. Doch anstatt diese Informationen zu nutzen, vergrößern wir nur stetig deren Anzahl. Insgeheim spüren wir, dass das, was wir da tun, uns keinen Nutzen bringt. Oder wir hoffen darauf, dass wir später in ferner Zukunft eine Anwendungsmöglichkeit für all dieses Wissen finden werden. Doch wir täuschen uns. Dazu wird es schon aufgrund der schieren Menge an gesammelten Daten wahrscheinlich nie kommen.

Verschiedene Arten von Commonplace-Books

Es gibt unterschiedliche Arten, ein CP zu führen. Dabei gibt es jedoch kein Richtig oder Falsch. In welcher Form ein CP geführt wird, hängt vom Verwendungszweck ab.
Die Methode, die ich hier vorstelle, ist darauf angelegt, die Kreativität von uns Schreibenden anzuregen oder zu unterstützen. Wichtig ist zu verstehen, dass ein CP-Book kein Tagebuch oder eine andere Art von Journal ist. Es folgt keiner chronologischen oder anderen festen Struktur. Im Gegenteil lebt es von der Unordnung, aber nicht der Wahllosigkeit. Es dient der Erfassung eigener oder fremder Gedanken, Ideen, Beobachtungen oder auch spontanen Eingebungen und Interessantem, die uns über den Weg laufen und sonst verloren gingen. Es geht bei Commonplacebooks jedoch nicht um Introspektion. Wir sammeln stattdessen Geschichten, Szenen, ungewöhnliche Details. Ein Commonplacebook darf und soll eine kunterbunte Sammlung werden. Nur so kann daraus ein fruchtbarer Nährboden für Kreativität entstehen.

Praktische Anwendung im Autorenalltag

Um das Commonplacebook als nützliches Werkzeug in unserem Schreiballtag zu etablieren, sollten wir es immer zur Hand haben. Meine Empfehlung wäre ein Notizbuch im Format A5. Das ist groß genug um der schreibenden Hand Raum zu geben, aber dennoch portabel, um als täglicher Begleiter einen Platz an unserer Seite zu haben. Hier muss aber jeder selbst eine Variante finden, welche zu ihm und seinen Gewohnheiten passt. Wer oft unterwegs ist, wird vielleicht ein kleineres Format bevorzugen, wer hauptsächlich am Schreibtisch sitzt, nutzt ein größeres Exemplar. Zur Lineatur gibt es keine Vorgaben, hier zählt, womit wir am besten zurechtkommen.


Wie starten wir nun? Zuerst der zentrale Punkt, den wir bei jedem Eintrag in unser Notizbuch beachten müssen. Spricht uns etwas an, ein Satz aus einem Buch, ein Zitat, ein Artikel, ein geführtes oder belauschtes Gespräch, oder eine Szene aus einem Film, neigen schnell wir dazu, das Gehörte oder Gelesene wortwörtlich zu notieren. Doch damit tun wir uns keinen Gefallen. Denn damit sind wir wieder beim wahllosen Notieren. Auch werden wir beim späteren Lesen nicht mehr verstehen, warum uns diese Notiz damals gerade so wichtig war. Stattdessen sollten wir uns überlegen, was genau an dieser Information eine Resonanz in uns auslöst. Und dann schreiben wir es in unseren eigenen Worten nieder! Dieser Punkt ist essenziell. Was wir in eigenen Worten formulieren, versteht und behält unser Gehirn besser. Wir haben es dann im Prinzip an zwei Orten abgelegt. Im Notizbuch und im Gedächtnis. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zur passenden Zeit erneut in unser Blickfeld gerät.


Einen interessanten Artikel gelesen, eine ungewöhnliche Anekdote gehört, eine besondere Entdeckung gemacht? Was ist die Essenz daraus, was genau weckte unser Interesse daran und warum wollen wir die Information behalten? Dann schreiben wir die Kernidee(n) in unseren eigenen Worten nieder. Zitate können wir wortwörtlich aufschreiben, aber auch diese lassen sich eventuell um ergänzende eigene Gedanken aufwerten. Wir notieren, was auch immer uns in uns anklingt und später wertvoll werden könnte.


Eine Möglichkeit der Spezialisierung sind themenspezifische Notizbücher. In jedem dieser Bücher sammeln wir nur Notizen, die eines unserer wichtigen Themengebiete betreffen. Ich selbst habe diese Variante bislang nicht ausprobiert, aber wer möchte, kann die Idee berücksichtigen und selbst testen. Statt verschiedener Notizbücher kann man auch mit einem Register experimentieren.
Ich finde die Variante der ungeordneten Notizensammlung viel spannender und hilfreicher. Aus Chaos entsteht meines Erachtens eher Kreativität als aus der Ordnung.


Ein weiterer nicht zu unterschätzender Vorteil ist: Ein physisches Notizbuch braucht keinen Akku, muss nicht mühsam gestartet werden. Es lässt sich nahezu überall lesen. Und es stört unseren Gedankenfluss nicht mit willkürlich sich in den Vordergrund drängenden Nachrichten. Ein Konzentrationsräuber weniger, der vom kreativen Flow abhält.

Braucht es einen Index?

Diese Frage stellte sich mir auch und meine Antwort ist ein klares Nein! Ja, Informationen lassen sich mittels Index schneller finden. Das ist ein Vorteil. Aber ein Index benötigt ein durchdachtes System und dessen Pflege macht zusätzliche Arbeit. Und ein Commonplacebook wie ich es hier beschreibe, benötigt diese Struktur nicht. Wir haben es nicht mit einer Datenbank zu tun, in der wir gezielt nach Informationen suchen, sondern eher mit einer Streuobstwiese, wo wir mal über einen Apfel und dann wieder über eine Birne stolpern. Struktur führt unseren Geist auf ausgetretene Pfade. Das kann hilfreich sein. Nur ist es das Gegenteil dessen, was wir mit unserer Notizensammlung erreichen wollen. Unser Ziel sollte die freie Assoziation sein, neue Verbindungen zwischen Informationen zu knüpfen und zuzulassen, statt uns von bewährtem Zusammenhängen und Konzepten leiten zu lassen. Das entspricht auch aktuellen Forschungen der Kognitionswissenschaft. Kreative Gedanken entstehen meist aus der Verbindung unterschiedlicher, mitunter völlig gegensätzlicher Ideen.

Warum Handschrift?

In Zeiten, in denen so wenig mit der Hand geschrieben wird, ist eine handschriftliche Aufzeichnung auch eine Art von Wertschätzung gegenüber dem geschriebenen Wort. Mit der Hand schreiben erfordert Mühe. Copy-and-paste am PC ist einfach, hier passiert es schnell, dass wir wahllos Informationen speichern, die keine langfristige Relevanz für uns haben. Was wir schnell mal speichern, vergessen wir ebenso schnell wieder. Notieren wir hingegen mit der Hand, erfolgt schon mal eine Selektion und Überprüfung des Vorgangs. Ist diese Notiz wirklich nötig? Ist die Idee tatsächlich den Aufwand wert, aufgeschrieben und behalten zu werden? Erinnerungen sind auch meist an mit körperlichen Empfindungen verbunden.

Die Sinnlichkeit des händischen Schreibens, vielleicht sogar mit einem besondern Schreibwerkzeug in ein optisch ansprechendes Notizbuch, steigert auch unser Erinnerungsvermögen. Obendrein schult handschriftliches Schreiben unsere Ausdrucksfähigkeit. Ein Pluspunkt, der nicht nur uns Schreibenden zugutekommt. Unsere Gedanken werden klarer, wir lernen nicht nur nachzuplappern, sondern unsere eigene Haltung in dem zu finden, was uns von Aussen zugetragen wird. Wir lernen kritischer, selbstbewusster und differenzierter zu denken. Wir setzen uns mit der Welt auseinander, anstatt nur via Copy-and-paste zu konsumieren.

Ist es das alles wert?

Der einzige Nachteil ist — es benötigt Zeit, bis ein Commonplacebook soweit gewachsen ist, damit es seinen vollen Nutzen entfalten kann. Es werden Monate bis Jahre vergehen, bis sich sein enormer Wert zeigt. Doch bereits die Entstehung ist ein äusserst wertvoller Prozess, da er unsere Sinne schärft für das, was uns wichtig ist. Haben wir geduldig notiert, so haben wir uns ein mächtiges und individuelles Werkzeug geschaffen, mit dem wir der nächsten Ideenflaute nicht mehr ganz so hilflos gegenüberstehen und haben ganz nebenbei unserem Geist eine Frischekur verpasst. Und unser Commonplacebook ist zu einer unverzichtbaren Begleitung im Leben geworden.

Nichts mehr verpassen!

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